Arbeitsweise

Ausgangspunkt für die Arbeiten von Ida Büngener ist die Zeichnung nach der Natur. Manchmal, jedoch viel seltener, wählt sie auch ein Foto, das sie dann zeichnerisch umsetzt. Die Zeichnung des Gegenübers klärt zunächst sein äußeres Erscheinungsbild. Doch dabei bleibt es nicht. Sie ist zugleich auch ein vorsichtiges Herantasten an kleinste, im ersten Augenblick verborgene, Details. Dabei verändert der Blick auf diese Details das naturgetreue Erscheinungsbild ganz subtil. Proportionen verändern sich unmerklich, Einzelpartien werden hervorgehoben, andere treten beiseite, Hell-Dunkel-Akzente zeigen Verborgenes.

So gerät die Zeichnung zugleich zu einer Befragung des Wesens der dargestellten Motive. Im Mittelpunkt steht die Einzigartigkeit, das Besondere, Individuelle dieser Person, Landschaft, Situation Geste oder dieses einen Körpers. Die Zeichnung nach der Natur ist hier der Weg einer persönlichen Begegnung.
Wenn in der Folge aus diesen Zeichnungen Bilder entstehen, werden sie in einer Untermalung skizzenhaft ins Bild übernommen. Dabei bleiben die meisten Details zuerst erhalten. Die Ausgangszeichnung ist im Bild stets präsent, wird nun jedoch eingebettet in Farbumgebungen.

Die gewählten Farben, die mehrschichtig, lasierend aufgetragen werden, eröffnen einen anderen Weg zum Darzustellenden. Das Besondere, Einzigartige, das sich in der Zeichnung herauskristallisiert hat, erhält eine Entsprechung. Die Farben treten in Korrespondenz zu den Linien der Zeichnung, oftmals verschwinden diese ganz während des Malvorgangs, werden zur Grenze einer nun plastischen Form, um dann an anderer s Stelle wieder hervorzutreten, um Bereiche klarer zu definieren. Gleichzeitig erzeugen die subtilen Farbabstufungen Räume, die das Motiv schwebend umkreisen.

Ida Büngener malt selten nur ein Bild eines Motivs. Sie variiert es, indem sie auf der Suche nach Entsprechungen immer neue Farbzusammenhänge schafft. So gibt sie immer neue Deutungen des Wesens des Dargestellten. Dabei verändert sich auch die Ausgangszeichnung. Durch das Einwirken der Farbe und durch den Malvorgang wird sie weniger detailliert, allgemeiner. Hier gelingt es dann, einen Ausdruck zu erzeugen, der weit über das Individuelle des dargestellten Menschen, des Naturausschnitts oder der beobachteten Situation hinausgeht.
Gesichter, Körper, Tiere oder auch Landschaften werden, stellenweise mit humorvollem Augenzwinkern, stellenweise   mit intensiver Anteilnahme präsentiert.

Sigrid Bärmann




Herbert Brinkmann über Ida Büngener im Künstlerbunker 29. Mai 2011

Ich habe im Laufe der Jahre bereits viele Ausstellungen eröffnen dürfen. Auf diese hier und heute habe ich mich besonders gefreut, ja ich bin sehr glücklich, Ihnen diese Ausstellung näher bringen und diese Künstlerin vorstellen zu können. Ida Büngener malt seit ihrem Studium in den 60er Jahren an der Kunstakademie Düsseldorf, doch hat sie sich rar gemacht. Sie hat wenig ausgestellt und ist deshalb auch nur wenigen bekannt. Wer sich ihrem Werk unvoreingenommen nähert, wird es als überaus bereichernd empfinden. Hier können wir ein sehr eigenständiges Werk entdecken. 41 Jahre lang war sie Kunsterzieherin an Realschulen. Seit zwei Jahren ist sie in Rente. Ich wage es deshalb, in dieser Ausstellung von einem jungen Werk zu sprechen, auch wenn viele der hier ausgestellten Bilder älter als zwei Jahre sind. Mit jung möchte ich ihr Suchen nach Ausdruck, das ständige Ausprobieren und die unbändige Neugier zusammenfassen. Was ihr Werk vor vielen anderen heute so einzigartig macht, ist das Arbeiten in kleinen Serien. Sie werden in dieser Ausstellung Motive finden, die in Farbe und Ausdruck mehrfach variiert werden – und stets dabei einen neuen Klang erzeugen. Also keine selbstverliebte Spielerei, sondern eine spannende und – ich glaube – auch sich selbst immer wieder überraschende Veränderung von Ausdruck durch malerische Mittel.

Für mich erzählen ihre Bilder Geschichten, auch wenn Ida Büngener eigentlich keine Geschichten erzählen will. Ihre Bildmotive sind, ganz nüchtern betrachtet, banal. Zwei schlafende Hunde, eine Straßenmusikerin in der U-Bahn, ein Blinder und seine Frau auf einem Bahnsteig, eine Frau mit Kind auf einer Schaukel, eine alte Frau am Waschbecken. All das sind Alltagssituationen, mit wachem Auge beobachtet, aber nichts Spektakuläres, auch nicht überhöht und bedeutungsschwanger aufgeladen. Trotzdem ziehen diese Bilder den Betrachter sofort in seinen Bann. Mich zumindest. Wir erkennen die Situation, kennen aber nicht ihren Kontext. Also beginnen wir, mit dem Bild in einen Dialog zu treten, wir erinnern uns an ähnliche Situationen, gleichen sie ab. Wir vergleichen die verschiedenen Bilder ihrer kleinen Serien und lassen uns auf das Wagnis ein, die farblichen und formalen Änderungen zum Ausgangspunkt zu interpretieren. Unterschwellig merken wir, dass sich die dargestellte Person von Bild zu Bild um Nuancen verändert, eine andere wird. Das gilt für das Bild ihrer Mutter, die ihr Gebiss am Waschbecken putzt, und in dieser Konstellation immer mehr ins Groteske, Unheimliche rutscht, wie für eine junge Frau mit ihrem Sohn auf dem Schoß auf einer Schaukel, deren Überraschung beim Fotografieren in Richtung tierhaften Schrei mutiert. Das alles wird nur mit wenigen Änderungen durch Farben und Striche erzielt, und natürlich mit unseren Gehirnspielchen dazu.

Als ihr Vorbild par excellence nennt Ida Büngener Goya. Wir erinnern uns nur an die Radierung „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ aus den Caprichos, zu Deutsch Launen oder Einfälle. In diesen Radierungen greift Goya aktuelle Probleme seiner Zeit auf, also Armut, Prostitution, Aberglaube, Inquisition, die Unterdrückung durch den Adel und den allgemeinen Standesdünkel. Ida Büngener geht in ihren eigenen Bildern nicht so ins Gesellschaftspolitische, doch die Werke dieses Mentors halfen ihr, eine düstere Jugend mit streng katholischer Erziehung in der sauerländischen Provinz zu überwinden. Goya ist nicht nur Maler, sondern auch exzellenter Zeichner und Radierer. Auch Ida Büngener beginnt ihre Arbeit mit dem Zeichnen, sehr präzise, ganz von der Linie bestimmt. Einige Zeichnungen sind ja hier auch ausgestellt. Von ihrer Mutter, die mit 96 Jahren starb, hat sie viele Zeichnungen gemacht, stets auf die Person, nicht auf Ausdruck bezogen und von der Linie bestimmt. Beim Malen mischt sich der Zustand der Mutter und der malenden Tochter. Auch wenn Goya ihr „Gott“ ist, will sie nicht wie er gesellschaftliche Zustände illustrieren. Sie ist nicht an der äußeren Hüller interessiert, sondern an dem Dahinter. Sigrid Bärmann, wie sie Künstlerin und Kunsterzieherin, hat einmal zu ihren Zeichnungen geschrieben: „So gerät die Zeichnung zugleich zu einer Befragung der dargestellten Motive. Im Mittelpunkt steht die Einzigartigkeit, das Besondere, Individuelle dieser Person, Landschaft, Situation, Geste oder dieses einen Körpers. Die Zeichnung nach der Natur ist hier der Weg einer persönlichen Begegnung.“

Andere Male sind spontane Fotos die Vorlage. Doch das fertige Gemälde ist weit entfernt vom ursprünglichen Schnappschuss. Der malerische Prozess ist das eigentlich Spannende. Auf der Leinwand nimmt sich Ida Büngener die Freiheit, sich von der Anfangssituation zu lösen, Farben zu ändern, Ausdrücke neu zu erfinden. Das Spannende und Unerklärliche ist, wie es ihr gelingt, aus Stroh Gold zu flechten, aus einer banalen Situation eine spannende Bildgeschichte zu erfinden. Nehmen Sie die Einladungskarte. Das originale Foto zeigt zwei Frauen abends in der Dunkelheit gemeinsam am Tisch eines Straßencafés – eine stinknormale Urlaubssituation. In der Einladung finden Sie das Motiv wieder, geheimnisvoll, mit einem roten Hintergrund. Lachen uns die Damen an oder aus? Und die kleinen Hündchen? Niedlich oder nervig, bieder oder bissig?

Tiere tauchen in ihren Bildern sehr häufig auf, auch wenn sie selber keine Haustiere hat, eine Tierhaarallergie steht dem entgegen. Ein sehr frühes Bild, das ihr sehr wichtig ist, erscheint uns wie ein Traum. Wir sehen einen See vor einer dunklen Waldkulisse. Dieser Teich, irgendwo zwischen Büderich, Lörick und Kaarst gelegen, war damals voller Frösche. Damals heißt 1977, als Ida Büngener schwanger war, ihr Mann Memphis Schulz fuhr mit Freunden mit einem Boot auf dem See und drehte einen Film. Sie war schwanger, es war ein schöner Tag. Und wenn wir näher an das Bild treten, entdecken wir, dass die Froschaugen Löcher in einer Schrankwand sind.

Da gibt es ein Porträt einer Frau mit ihrem Beo, der schon fast alle Federn verloren hatte. 1989 im Krefelder Zoo malte sie Gorillas. Die Affen faszinierten sie, gleichwohl bekennt sie, dass für sie Tiere nicht zu fassen seien und sie kein reales Verhältnis zu Tieren habe. Obwohl im Sauerland groß geworden, hat sie lange Angst vor Kühen und Pferden gehabt. Als Malerin glaubt sie, in Tieren gut Stimmungen umsetzen zu können. Ihre Schweine im Schwarzwald strotzen vor Lebendigkeit, den Kälbern im Stall einer DDR-LPG gab sie menschliche Physiognomien.

An der Akademie, so erzählt sie, sei sie von ihrer angstbesetzten, katholischen Kindheit geheilt worden. Sie hat sich sehr zur Beuys-Klasse hingezogen gefühlt. Sein religiöser Hintergrund hat sie angesprochen, wenn auch die anthroposophischen Freunde ihr eher gestunken haben. Doch während Beuys versucht habe, die ganze Welt zu erklären und die Flamme auch über den Tod hinaus weiterzugeben, sieht sich Ida Büngener selber ganz einfach. Festhalten und Umwandeln sei ihre Methode: präzises Kennenlernen, innerliches Aneignen, freier Umgang damit. Beim Malen wird stundenlang vieles vorher Gemalte weggewischt. Beim Malen gehe sie ziellos vor, trotzdem weiß sie genau, was sie will und was nicht.

Nehmen wir etwa das Bild von der Frau auf der Schaukel. Die ursprüngliche Situation fand auf einem Fest mit vielen Leuten statt. Das Foto zeigt hinter der Frau Leute, die an einem Feuer sitzen. Für ihr Gemälde lässt die Künstlerin alles weg, was sie nicht interessiert. Dann verselbständigen sich die Farben, Ida Büngener schaut und malt. Sie erklärt: „Ich habe keinen Vorsatz für den Ausdruck. Ich möchte mich selber überraschen.“ Auch wir werden überrascht, wie sich der Ausdruck von Mutter und Kind verändert, maskenhaft wird. Oder die Straßenmusikantin in der U-Bahn. Der erste Zustand zeigt die Roma-Frau im langen Rock mit ihrem Mikrofon und Verstärkerrolli noch sehr illustrativ, in den Folgebildern wird das Motiv immer mehr reduziert und abgewandelt. Oder das ältere Pärchen auf dem Bahnsteig. Was wie eine spontane Zufalls-Skizze aussieht, ist eine persönliche Begegnung. Das Paar hatte sie zur Bahn gebracht. Der Zug fährt an, Ida Büngener macht durch die verspiegelte Scheibe ein Foto, das Paar, schon im Weggehen begriffen, merkt davon nichts. Er ist Völkerkundler, seit seinem 16. Lebensjahr blind, er hat auf der Osterinsel die Sprache der Ureinwohner erforscht. In einer der Versionen dieser Situation ist der Mann nackt. In seiner Blindheit wirkt er noch verletzlicher. „Mich interessiert die Haut eines Menschen“, erklärt die Künstlerin. Sie hat keine Lust auf Kleidung, jedenfalls um sie zu malen, die farblichen Gründe sprächen für die Haut.

So hat sie nicht nur ihre Freundin beim Urlaub in Portugal nackt gemalt, sondern auch einige professionelle Modelle. Dabei merkte sie, dass sie eine Beziehung zum Modell für ihre Bilder braucht. Und wen kennt man am besten, wenn nicht sich selbst? In dieser Ausstellung gibt es auch ein Akt-Selbstporträt vor dem Spiegel, in dem natürlich die Augen sehr dominant sind. Lassen auch Sie sich anschauen, schauen Sie selber, tauchen Sie ein in die Variationen eines Traums, in die skurrilen Caprichos dieser ganz einzigartigen Düsseldorfer Künstlerin.

Dr. Heribert Brinkmann, Mai 2011